2024

Sundieren II

Zeitschichten: Matthias Beckmann

29. September - 10. November 2024


Liebe Mitglieder, liebe Kunstinteressierte,  

 

am Sonntag, den 29. September um 14:00 Uhr wird im Kunstverein Sundern-Sauerland e.V. die Ausstellung "Sundern II - Matthias Beckmann - Zeitschichten" eröffnet. Hierzu laden wir Sie herzlich ein.

 

Diese Ausstellung bildet den Abschluss des Gesamtprojektes Sundieren II, das mit dem in Sundern aufgewachsenen Künstler Matthias Beckmann und dank der Förderung durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen realisiert werden konnte.

Zeichnungen bilden bis heute einen Schwerpunkt in der künstlerischen Arbeit von Matthias Beckmann. Schon als Jugendlicher fiel er in Sundern durch seine vielfältigen Zeichnungen auf. Fast 40 Jahre später, nach Studium, Stipendien, zahlreichen Preisen und mit Arbeiten in den bedeutendsten deutschen Museen vertreten, mit Gastprofessuren und Arbeitsaufenthalten im europäischen Ausland bis nach Indien, freuen wir uns, Matthias Beckmann in Sundern begrüßen zu dürfen. 

In dem für ihn typischen strengen, linearen Zeichenstil mit Bleistift und Zeichenblatt im Format DIN A4, ohne fotografische Hilfsmittel, ohne vorbereitete Skizzen und ohne Korrekturen zeichnete Beckmann im Juni dieses Jahres 10 Tage lang in der Sunderner Innenstadt. Zeichnend entdeckte er die Menschen in der Fußgängerzone, Geschäfte, Kirchen, Denkmäler, bekannte und unbekannte Gebäude. 

 

Mit seiner Arbeit in Sundern begründete er erneut den Kunstbegriff "Sundieren", den die Hochschule der Bildenden Künste Saar im Jahr zuvor geprägt hatte.

Damit war ein Begriff geschaffen, der eine spezifische künstlerische Untersuchungsmethode bezeichnet, die aus der fruchtbaren Symbiose von Sondieren und Sundern entstanden ist. In seinen "Zeitschichtungen", wie er das Ergebnis seines Sundierens nennt, offenbaren sich sowohl die Gegenwart der Stadt als auch die Spuren der Vergangenheit und verhelfen den Betrachter*innen zu einer bewussteren Wahrnehmung der eigentlich vertrauten Orte.

 

In Anlehnung an seine Jugend in Sundern werden Zeichnungen gezeigt, die während seines Sommeraufenthaltes in Sundern entstanden sind und in einem offenen Malatelier in dem damals leerstehenden ehemaligen Ladenlokal Haake in der Fußgängerzone ausgemalt und als Kopie weiter gezeichnet werden konnten.

Indem Matthias Beckmann die Betrachter*innen motiviert hat, seine Zeichnungen zu erweitern, zu ergänzen oder zu kolorieren, hat er sie in seine künstlerische Arbeit einbezogen.

Jedes Bild, obgleich eine Kopie des Originals, wird so zu einem eigenständigen Unikat. Diese Bilder werden auch Teil der Ausstellung sein, indem sie in einer Videoschleife zu sehen sein werden.

Ein weiteres Highlight der Ausstellung werden einige Trickfilme des Künstlers sein. Hier zeigt Beckmann eindrucksvoll, dass er mühelos von der statischen Zeichnung zur bewegten Linie übergehen und Situationen eigenwilliger Art schaffen kann.

 

Zur Eröffnung wird Reinhard Buskies, Kunsthistoriker, freier Kurator und künstlerischer Leiter des Kunstvereins Bochum, in die Kunst von Matthias Beckmann einführen. 

Zur Ausstellung erscheinen 6 Postkarten und ein Malbuch.

Frühere Arbeiten des Künstlers nimmt der Kunstverein am Samstag und Sonntag, 21. und 22. September, jeweils von 10 bis 12 Uhr gerne als Leihgabe entgegen.

 

Vernissage: So., 29. September 2024, 14.00 Uhr

Ausstellungsdauer: 30. September bis 10. November 2024

Finissage mit Künstlergespräch: So., 10. November 2024, 14.00 Uhr

 

Öffnungszeiten: Mi. - Fr.: 16.00 - 18.30 Uhr, Sa. - So.: 12.00 - 18.00 Uhr

Gruppen nach Vereinbarung. An Feiertagen geschlossen. 

 

Kunstverein Sundern-Sauerland e.V., Röhre 4, 59846 Sundern

 

Kontakt

Mail: info@kunstverein-sundern-sauerland.de

Mobil: +49 (0) 171 / 1204716

 

Impressionen vom Mitmach-Atelier und mehr unter: www.kunstverein-sundern-sauerland.de (Archiv), Facebook und Instagram.

Projekt gefördert durch:


Impressionen der Ausstellung


EInladungskarte


Eröffnungsrede (Reinhard Buskies)

Reinhard Buskies - Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Reinhard Buskies - Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Kunst,

 

manches ist ganz offensichtlich nur in Sundern möglich. Und dazu zählt zweifellos der Begriff „sundieren“, der nun schon zum zweiten Mal Titel einer Ausstellung geworden ist. „Sundieren“, gebildet aus den Wörtern „Sundern“ und „sondieren“, bezeichnet auf gleichermaßen humorvolle wie sinnstiftende Weise eine Methode der künstlerischen Untersuchung im Umfeld der im Begriff anklingenden Stadt. Und niemand scheint besser geeignet, diesen Begriff künstlerisch zu füllen, als der Zeichner Matthias Beckmann. Nicht nur, dass Beckmanns zeichnerische Annäherung an ganz unterschiedliche Orte als Sondierungen gesehen werden können, auch stammt Beckmann aus Sundern. Hier ist er aufgewachsen und hier liegen auch die Anfänge seiner zeichnerischen Laufbahn.

 

Nach 40 Jahren und Stationen in Düsseldorf, Köln und Berlin, wo Beckmann inzwischen lebt, kehrt er nun zumindest mit einer Ausstellung in seine Heimatstadt zurück und widmet ihr zugleich eine neue Zeichenserie. Endlich auch Sundern, möchte man sagen: denn während in der Vergangenheit unter anderem Städte wie Berlin, Paris oder Bochum in diversen Zeichnungsserien ihren Niederschlag gefunden hatten, ist Sundern diesbezüglich bislang leer ausgegangen. 

 

Das hat sich nun im Juni dieses Jahres geändert, als Beckmann zehn Tage lang mit Bleistift und Zeichenblock in seiner Heimatstadt unterwegs war. Als sensibler Beobachter durchstreift er die Stadt, spürt den Orten und Situationen nach, trifft auf Vertrautes, aber auch Neues und manche Eigenartigkeit. Mit seinem Zeichenhocker postiert er sich vor dem jeweiligen Motiv und beginnt zu zeichnen. Er verzichtet auf vorbereitende Skizzen ebenso wie auf das Nacharbeiten im Atelier. Alle Blätter entstehen im einem Zug direkt vor dem Motiv. So kam in Sundern eine Serie von gut siebzig Blättern zustande, die hier in der Ausstellung in Gänze präsentiert werden.

 

In seiner Sunderner Zeichnungsserie nimmt uns Beckmann mit auf einem Spaziergang durch die Stadt. Die ortskundigen Betrachtenden dürften jedes der Motive wiedererkennen: die Kirche, das Treiben auf dem Marktplatz oder das für jede kleinere bis mittelgroße Stadt scheinbar obligatorische Eiscafé Venezia. Beckmann hält das vielschichtige Geschehen in der Stadt fest, wie es sich seinen sensibilisierten Blick darbietet. Alltägliches steht dabei neben Besonderem, scheinbar Banales neben Bedeutsamen, mitunter Tragischem. Auf einer Zeichnung finden sich zwei sogenannte Stolpersteine, die an den letzten Wohnort von Levi und Hugo Klein erinnern, bevor diese von den Nazis deportiert und ermordet wurden. 

 

Beckmanns Ansatz wohnt ein dokumentarischer Zug inne. Ihm geht es im Zeichnen um das Festhalten dessen, was ist. Dazu passt sein unprätentiöser, neutraler Zeichenstil. Beckmann zeichnet, so ließe sich mutmaßen, wie andere fotografieren. Tatsächlich weist Beckmanns künstlerische Herangehensweise gewisse Berührungspunkte zum Konzept der street photogaphy auf, jenem Genre der Fotografie, das sich den urbanen Orten und momenthaften Situationen widmet, wobei der Charakter dieser Situationen mitunter weit über das Momenthafte hinausweist. Als ein zentrales Merkmal der street photogrphy gilt ein periphärer, beiläufig beobachtender Blickwinkel. Eine solche Perspektive lässt sich auch Beckmanns zeichnerischem Blick zuschreiben. 

 

Gleichwohl ist zu betonen, dass Beckmann über das Medium der Zeichnung zu gänzlich anderen Ergebnissen kommt, als dies ein Photograf könnte. Dabei erscheint das fotografische Bild der Zeichnung zunächst in macherlei Hinsicht gar überlegen. Es ist zum einen im buchstäblichen Augenblick, noch dazu auf Knopfdruck, zu gewinnen. Im Vergleich dazu erweist sich die Zeichnung als ein mühevolles und zeitaufwändiges Verfahren. Darüber hinaus kann das Foto einen Anspruch auf Vollständigkeit beanspruchen, der der Zeichnung in aller Regel verwehrt bleibt. Das Foto kennt keine Leerstellen, lässt nichts aus. Es erfasst nicht nur jedes Detail, es füllt auch jeden Quadratmillimeter der Bildfläche mit abbildhafter Information.

 

Gerade diese vermeintlichen Defizite machen letztlich jedoch genau die Stärke des zeichnerischen Mediums aus. Anders als das Foto, bei dem sich der abbildende Funktion gewissermaßen von selbst ereignet, ist die Zeichnung weitaus mehr als ein transformativer gestalterischer Prozess zu begreifen. Nicht, dass auch das Fotografieren ein gestalterischer und transformativer Vorgang wäre. Das zweidimensionale Foto ist bereits unweigerlich eine Transformation der dreidimensionalen Wirklichkeit, und die Wahl der Perspektive, des Ausschnitts, Entscheidungen hinsichtlich der Bildkomposition sind zweifellos gestalterische Entscheidungen.

 

Bei der Zeichnung jedoch ist jeder Strich, jede Setzung das Ergebnis einer künstlerischen Entscheidung, sie diese nun bewusst oder weitgehend unbewusst getroffen. Mit jeder gezogenen Linie bringt der Künstler sich selbst in das Bild ein. Die Zeichnung erweist sich hierbei als das Ergebnis einer wesentlichen Reduktion. Entscheidend ist nicht nur, welche Linien der Künstler setzt, ebenso entscheidend ist, welche er nicht setzt. Betrachten wir die Zeichnungen Matthias Beckmanns in dieser Hinsicht, so fällt auf, mit wie wenig Strichen es Beckmann gelingt, eine Szenerie im Bild wiederzugeben und lebendig werden zu lassen. 

 

Gegenüber der reichhaltigen und vielfarbigen visuellen Welt, aber auch gegenüber der Fotografie, erscheinen Beckmanns Zeichnungen geradezu als Meisterwerke der Reduktion. Besonders deutlich wird dies beispielsweise in der Sunderner Zeichnung Nummer 28. Hier ist der größte Teil des Blatter völlig leer gelassen. Die Szenerie mit den Personen auf der Bank und der Skulptur im rechten Bereich schwebt geradezu im luftleeren Raum. Der Kreisverkehr, den das hinter der linken Personengruppe hervorragende Verkehrszeichen ankündigt, bleibt unsichtbar, ist lediglich vom Betrachtenden zu denken. Und das am Laternenmast befestigte Plakat verbleibt in der Andeutung. Sein Inhalt entzieht sich einer eindeutigen Bestimmung. 

 

Damit stellen sich wiederum Fragen an die Rezipienten. Welche Rolle nehmen wir als Betrachtende ein? Wie gehen wir mit den Zeichnungen um? Für gewöhnlich richtet sich unser Blick auf wiedererkennbare Motive und so gehen wir sicher auch zunächst an die Zeichnungen Beckmanns heran. Doch stoßen wir hiermit, das hat die Betrachtung der Zeichnung im vorigen Absatz gezeigt, sichtlich an Grenzen. Gerade die Leerstellen und Offenheiten erweisen sich dabei als Herausforderungen an unser Sehen. Sie fordern heraus zu einem weiterdenken der Bilder in der eigenen Imagination. Sie fordern ein aktives, mann könnte vielleicht sogar sagen, kreatives Sehen. 

 

Beckmanns Zeichnungen stehen bilden hiermit einen Gegenpol zu jenen eher oberflächlichen Betrachtungsmodi, die wir uns in der alltäglichen Bilderflut der digitalen, mitunter sogenannten sozialen Medien, angewöhnt haben. Hier reicht uns meist ein flüchtiger Blick, ein Identifizieren der zentralen Motive, um auch schon zum nächsten Bild weiterzuklicken. Auch an Beckmanns in langer Reihe im Ausstellungsraum gehängten Zeichnungen könnte man so vorübergehen, sich mit dem begnügen, was an wiedererkennbaren Motiven ins Auge sticht. Doch damit würde man der Kunst Beckmanns nicht gerecht. Die Werke der Kunst fordern immer ein genaueres Hinschauen und eröffnen darin einen neuen und anderen Blick auf die Welt. Und auch wenn man sich dessen nicht unbedingt bewusst ist, so wird doch unterschwellig die Eigenheit von Beckmanns reduzierten, linearen und nicht farbigen Blättern in jeder Betrachtung mitschwingen. Die eher beiläufige Äußerung einer Sundener Bürgerin, die angesichts der Zeichnungen Beckmanns feststellte, so habe sie ihre Stadt noch nie gesehen, erhält vor diesem Hintergrund eine tiefergehende Bedeutung. 

 

Nun ist viel zu den aktuellen Zeichnungen Beckmanns gesagt worden, aber es wurde noch nicht auf die frühen Werke eingegangen, die in dieser Ausstellung ebenfalls zu sehen sind und die so ganz anders sind als die aktuellen Arbeiten. Erstmals überhaupt hat Beckmann hier in seiner Sunderner Ausstellung Zeichnungen, Malereien und Radierungen einbezogen, die weitgehend aus seiner Jugendzeit stammen. Diese Möglichkeit ergab sich insbesondere aus der Tatsache, dass die Ausstellung im Beckmanns Heimatstadt stattfindet, wo sich noch zahlreiche frühe Arbeiten im Privatbesitz von Sunderner Bürgern befinden. Diese waren aufgerufen, Werke für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. 

 

Zusammengekommen ist eine vielfältige Mischung, die einen durchaus repräsentativen Einblick in die Frühphase Beckmanns zeigt. Auch wenn diese Jugendwerke nicht zum künstlerischen Œuvre Beckammns zu zählen sind, zeigen sie doch die Ausgangspunkte seines zeichnerischen Interesses. Und natürlich, das ist bei einem jungen kunstinteressierten Menschen nicht anders zu erwarten, scheinen immer wieder die Vorbilder und Orientierungspunkte durch. Mal nehmen Blätter sichtlich Bezug auf historische Buchillustrationen, mal scheinen Künstler durch wie Hernri Rousseu oder Geroge Grosz, und die Liste ließe sich fortsetzen. Auch wenn ein eigener Stil in den frühen Arbeiten noch nicht herausgebildet ist - wie sollte es auch - so manifestiert sich hier durchaus eindrucksvoll bereits ein außerordentliches zeichnerisches Talent. 

 

Nur kurz kann abschließend noch auf die anderen Themengebiete dieser Ausstellung eingegangen werden. Da wären zum einen die Trickfilme, die auf einem Monitor an der Stirnwand des Raumes gezeigt werden. Diese sind in dem für Beckmann typischen linearen Stil gehalten wie die Zeichenserien. Anders aber als in den Zeichnungen entwickelt Beckmann hier kleine phantasievolle, mitunter surreale Bildergeschichten. Aus diesen kurzen Filmen sprich um so deutlicher die Lust und Freude des Zeichners an dem, was mit der Linie machbar ist. 

 

Letztlich hinzuweisen ist noch die Mitmalaktion, deren Ergebnisse teilweise auf dem Monitor am Fenster zu sehen sind. Hierbei wurden öffentlich ausgelegte Zeichnungen Beckmanns gewissermaßen zur Kolorierung freigegeben. Die Resultate fallen dabei höchst unterschiedlich aus und dürfte den Künstler mitunter selbst überrascht haben. Der Mitmachgedanke findet übrigens eine Fortsetzung. In Kürze erscheint ein Malbuch zur Sunderner Zeichenserie.

 

Alles in allem vermittelt sich in dieser Ausstellung ein sehr weit gefasstes und vielfältiges, in mancher Hinsicht selbst für die Vertrauten seiner Kunst nochmals überraschendes Bild des Zeichners Matthias Beckmann. Dies ist in dieser Form nur hier in Sundern mögliche und kommt so nicht wieder. Nutzen Sie diese einmalige Gelegenheit!

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!


Impressionen der Vernissage